Auerhaus

Schauspiel nach dem Spiegelbestseller von Bov Bjerg

Mit Charlotte Mednansky u. a.
Regie: Philippe Besson

Auerhaus”: das neue „Tschick”

Ende der 1980er in der Provinz. Sechs Freunde und ein Versprechen: Ihr Leben soll nicht in Ordnern mit der Aufschrift »Birth – School – Work – Death« abgeheftet werden. Deshalb ziehen sie gemeinsam ins Auerhaus, das so heißt, weil die Nachbarn von dort ständig den Hit „Our House“ von Madness hören, aber kein Wort Englisch verstehen. Also: Auerhaus wie Auerhahn (oder doch wie Aua-Haus?).
Eine Schüler-WG auf dem Land – unerhört.
Aber die Auerhaus-Bewohner wollen nicht nur ihr eigenes Leben leben, sondern vor allem das ihres Freundes Frieder retten, der schon einmal versucht hat, sich umzubringen – und immer noch nicht sicher ist, warum er überhaupt leben sollte.
Die Verantwortung teilt sich Frieders bester Freund Höppner mit seiner ab-und-zu-Freundin Vera, die weder in Bezug auf Liebe noch auf Eigentum an Exklusivität glaubt. Mit von der Partie sind außerdem Cäcilia, die sich weigert, das Leben ihrer reichen Eltern zu erben, die bildschöne Brandstifterin Pauline und der womöglich schwule Dealer Harry.
Zwischen süßem Imiglykos, Fertignudeln und Musterungsakte proben die sechs das Leben, das Stehlen und den Aufstand. Es ist die Zeit ihres Lebens.
Und gegen die Angst um Frieder wird angelebt – mit voller Kraft. Gemeinsam.
Aber das kann natürlich nicht ewig so weiter gehen…

EURO-STUDIO Landgraf in Zusammenarbeit mit tjg. theater junge generation, Dresden

 

Kritiken

Kritik aus der Borkener Zeitung vom 06.04.2019

"Auerhaus" in der Stadthalle
Dramatisches Erwachsenwerden

Von Claudia Peppenhorst

Borken. Die Jugendzeit vor dem Erwachsenwerden bietet den meisten Menschen die schönsten Erinnerungen. Freiheit, Unbeschwertheit und viele Möglichkeiten, die einem offen stehen. Dass es auch anders kommen kann, zeigte auf beeindruckende Weise das Theaterstück "Auerhaus" am Donnerstagabend in der Stadthalle Vennehof.

Mit großer Überzeugungskraft brachten die sechs jungen Schauspieler Florian Rats, Tomás Heise, Rebecca Selle, Charlotte Mednansky, Emma Henrici und Felix Utting die Romanadaption des Bestellers von Bov Bjerg aus 2015 auf die Bühne, bei der sie in verschiedene Rollen schlüpften.

"Das ist für uns die 25. Vorstellung und es ist sehr speziell, weil sich jedes Mal das Publikum, deren und unsere Gefühle verändern", erzählte Emma Henrici in der Einführung. Für einen erstaunten Lacher sorgte sie mit ihrer Äußerung: "Das sich ein junger Mensch mit 18 umbringt, ist für mich besonders tragisch. Wenn man 70 ist, könnte ich das eher verstehen." Diese Aussage resultierte aus der Geschichte des "Auerhaus".

Hier tun sich in den 80er Jahren sechs 18-Jährige zu einer Wohngemeinschaft zusammen. Vom Kasettenrecorder ertönt von Madness "Our House, in the middle of our street", so kommt es zu der Namensgebung "Auerhaus". Die jungen Leute kommen aus der Psychiatrie, jeder hat seine Geschichte. Frieder hat einen Suizidversuch hinter sich, Pauline ist Brandstifterin. Drogen, Homosexualität, freie Liebe, Schule, Ausbildung, die politischen Verhältnisse der 80er - alles spielt im Alltag im Auerhaus eine Rolle. Das Stück wird "zu einem Drama mit komödiantischen Zügen oder einer Komödie mit dramatischem Ende", wie es Henrici charakterisierte.

Aus dem Spiel wurde Ernst. Aus Frieders Aussage: "Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied" wurde am Ende Gewissheit. Die übrig gebliebenen fünf trennen sich, verlassen das Auerhaus, werden von der Justiz "verknackt", müssen ein Erwachsenenleben starten, und das unter schlechten Bedingungen.

"Es ist toll und macht Spaß, auf der Bühne verrückt zu spielen, weil es keine Konsequenzen wie im richtigen Leben hat", so Emma Henrici, die sich bewusst ist, "dass wir mit dem Stück eine große Verantwortung  beim jungen Publikum tragen."

Langen Applaus gab es für die tollen schauspielerischen Leistungen und die gelungene Inszenierung.

Über Bov Bjergs Überraschungsbestseller hieß es im Deutschlandradio:
»Bov Bjerg erzählt mit hinreißendem Ton und größtem Gespür für seine jungen Protagonisten von Freundschaft, Lebensmüdigkeit, Trost und Liebe. Jeder Satz sitzt. Jeder Satz trifft. (…) Die Wärme, der Klang und vor allem die Kraft dieses Romans wirken noch lange nach.«

Pressestimme zur Dresdner Premiere:

EINER FLIEGT RAUS
„Auerhaus“ feierte Premiere im tjg. [theater junge generation Dresden]
Als der deutsche Autor Bov Bjerg 2015 seinen Jugend-Roman „Auerhaus“ veröffentlichte, war ihm ein großer Wurf gelungen. Die Geschichte der sechs sehr unterschiedlichen Jugendlichen, die auf einem Dorf in Hinter-Deutschland in ein verwaistes Haus ziehen und dieses mit einem radikal-alternativen Lebensentwurf füllen, beunruhigte und berührte die Leserschaft sofort. (…) So ist es sicher kein Zufall, dass das tjg unter der Intendanz von Felicitas Loewe „Auerhaus“ (…) ausgewählt hat. (…)
Und dann leben sie, genau wie Jugendliche vermutlich zu allen Zeiten leben wollen. (…) Es gibt Nudeln mit Ketchup, Zweiliterflaschen Wein, die Musterungsakte im Tiefkühlfach, Joints, Partys und Ladendiebstähle für die Aufbesserung der Gemeinschaftskasse sowie des Freiheitsgefühls. Es ist herrlich einfach und erschreckend kompliziert, unglaublich befreiend und extrem grenzverletzend. Regisseur Philippe Besson und Dramaturgin Kathi Loch lassen die Musterungsszene ganz von oben herab sowie im regionalen Dialekt spielen. So als gäbe es noch das Königreich Württemberg als Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation oder gar das Deutsche Reich vor 1945. In der Welt der Jugendlichen aber wird Hochdeutsch gesprochen – ein guter Einfall, der den „geteilten Himmel“ in ein Bild übersetzt.
Ganz hervorragend gelungen ist auch die Einbindung der Songs, nicht nur des namengebenden „Our House“ von Madness. Keiner der Songs wirkt zufällig, jeder wird von den Schauspielern in Bewegung umgesetzt. Bis es zum Schluss einfach „groovt“ und das „coole“ Gefühl auch noch auf dem Nachhauseweg da ist. (…)
Wie die Gemeinschaft scheitert, ist noch einmal sehenswert, ein „ganz großes Kino“ mit Spritztour im Amischlitten, Pistolenattrappe und Gerichtsverhandlung.
Andrea Rotte, Dresdner Neueste Nachrichten, 22.04.2017