Heisenberg

Komödie von Simon Stephens

Mit Charles Brauer, Anna Stieblich

Autor Simon Stephens:
»Ich habe noch nie ein Stück über zwei Figuren geschrieben, denen es zusammen besser geht als es jedem für sich allein ging.«

Zum Inhalt
Der Physiker Heisenberg kommt nicht vor in dem Stück, das wie Ben Brentley in der New York Times am 13.10.2016 schreibt, den Zuschauer noch »beschäftigt, nachdem es schon längst zu Ende ist«, und es geht auch nicht um Quantenphysik. Simon Stephens, einer der – auch an deutschsprachigen Theatern – meistgespielten britischen Gegenwartsautoren, ist ein Meister, wenn es darum geht, einem Stück Rhythmus und Tempo zu geben. Bei der Kritikerumfrage von Theater heute 2006, 2007, 2008, 2011 und 2012 wurde er zum wichtigsten ausländischen Dramatiker gewählt. 2008 wurde sein Drama „Wastwater“ zusätzlich als ausländisches Stück des Jahres ausgezeichnet.

Unterschiedlicher kann es nicht sein, das Paar, dessen ungewöhnliche (Liebes-) Geschichte auf einem Londoner Bahnhof beginnt, als ein Mann scheinbar zufällig auf den Nacken geküsst wird. Und plötzlich »steht die Bühne unter Strom« (B. Brentley). Sie, GEORGIE (Anfang 40, quirlig, impulsiv, gesprächig, kontaktfreudig und trotzdem einsam) beginnt, das pedantisch geordnete Leben von ihm, ALEX (Mitte 70, schüchtern, verschlossen und seit seiner einzigen großen Jugendliebe, die einen anderen heiratete, alleinlebend) durcheinander zu wirbeln. Während er mehr oder weniger befremdet und genervt auf die vielen Geschichten reagiert, die sie ungefragt über sich erzählt, ist er gleichzeitig gegen seinen Willen beunruhigt und fasziniert von der unbändigen Energie der charmanten Nervensäge. Dabei weiß er – ebenso wenig wie das Publikum –, welche der immer wieder anders erzählten Details aus ihrem Leben Realität sind, mit welchen sie ihn nur provozieren will und welche nur ihrer Phantasie entspringen. Ist ihr Mann in den Flitterwochen mit ihr nach Thailand geflogen oder war sie nie verheiratet, ist er abgehauen und lebt jede Menge »Marihuana rauchend in Amsterdam« oder ist er verstorben?

»Stephens mag Überraschungen, und „Heisenberg“ ist voll davon«, schreibt Alexis Soloski in The Guardian am 04.06.2015. Und so merkt Alex irgendwann, dass die Begegnung offenbar doch kein Zufall war, denn – wie Stephens in einem Interview äußerte – ist in London »die Chance minimal, je mit einem der zehn Millionen [Einwohner] ins Gespräch zu kommen.

Georgie verfolgt also einen Plan: »Ich habe kein Geld. Du schon.« Hat sie sich nur verplappert oder ist sie wirklich eine Killerin, die es auf sein Geld abgesehen hat? Denn sie braucht Geld. Genauer gesagt: Sie braucht viel Geld. Exakt 15.000 Pfund. Ein Vertrauensbruch. Trotzdem gibt ihr Alex das Geld mit der – das zärtliche Verständnis des Autors für seine Figuren zeigenden – verblüffenden Begründung: er hat Angst, »sich in sie zu verlieben«, und er »will nicht, dass das passiert«. Zwei Monate später klingt das Stück mit einem zauberhaft poetischen Happy End aus, dem man sich nicht entziehen kann und nicht entziehen will. In wunderbarer Unbesorgtheit lässt der von Georgie »psychopathisches Gewohnheitsmonster« genannte Alex sich zum ersten Mal in seinem Leben auf ein Abenteuer ein und fährt mit ihr nach New Jersey, um dort ihren Sohn zu suchen, der nicht von ungefähr Jason (griech; deutsch = der Heilende) heißt. Und so sind in diesem wunderbaren modernen Märchen Alex und Georgie in einem Moment unerwarteten Glücks während eines ohne Musik getanzten Tangos nicht mehr nur durch ihre Einsamkeit verbunden.

„Heisenberg“, das erste Schauspiel, das Stephens im Auftrag eines Theaters geschrieben hat, unterscheidet sich durch die Konzentration auf die Ängste, Sehnsüchte und Träume seiner Figuren sowie das Gespür für deren Verletzlichkeit sehr von den bisher fast 30 anderen Stücken des vielseitigen Autors, in denen von Beginn an eine latente Bedrohung in der Luft liegt. Diese spürbare Aggression und Gewalt, die sich unter dem Alltäglichen versteckt, ist meist nicht mehr zu verhindern. Wie im Daily Telegraph 2002 über Stephens Stück „Port“ zu lesen war, zeigen diese atmosphärisch dichten, in nüchterner Sprache geschriebenen Stücke mit einer schwer zu ertragender Konsequenz die Welt, »wie Politiker sie ungern sehen«.
In „Heisenberg“, diesem wunderbar melancholischen, modernen Märchen, nähert sich Dramatiker Stephens seinen Personen mit Verständnis, Neugier, Nachtsicht und Zärtlichkeit. Und er findet mit Georgie und Alex zwei Figuren, die man im Theater schon lange nicht mehr gesehen hat. Sie verzaubern den Theaterbesucher nicht nur durch ihre Widerspenstigkeit, sondern auch durch ihre ganz eigene Weise, mit der sie um die Verwirklichung ihres Traums vom privaten Glück kämpfen.

Ernst Deutsch Theater, Hamburg
EURO-STUDIO Landgraf

Kritiken

Kritik aus der Borkener Zeitung vom 20.11.2019

"Heisenberg" auf der Vennehof-Bühne
Georgie und Alex kommen sich näher

Bildunterschrift: Anna Stieblich und Charles Brauer überzeugten in dem Zwei-Mann-Stück das Publikum.

Von Claudia Peppenhorst

Borken. Alles andere als langweilig war die Komödie "Heisenberg" am Montagabend in der Stadthalle im Vennehof. Absolut begeistert zeigte sich das Publikum nach 90 Minuten Spielzeit von der außergewöhnlichen schauspielerischen Leistung des ungleichen Paares auf der Bühne.

Die Schauspieler Charles Brauer und Anna Stieblich kannte wohl jeder aus dem Fernsehen: Brauer als Tatortkommissar an der Seite von Manfred Krug und Stieblich aus "Türkisch für Anfänger". In dem Zwei-Personen-Stück "Heisenberg" stellen sie überzeugend den Metzger Alex Priest und die 37-jährige Schulsekretärin Georgie Burns da.

Scheinbar zufällig küsst Georgie Alex in den Nacken, als dieser auf einem Londoner Bahnhof einfach nur vor sich hinsitzt. Das ist der Start, mit dem das geordnete Leben des 75-jährigen Alex durcheinandergewirbelt wird. Der verschlossene, misstrauische und in einem pedantisch geordneten Leben verhaftete Mann wird aus seiner Bahn geworfen. Die quirlige, impulsive Georgie textet den alten Mann zu, der gar nicht weiß was er alles glauben soll von dem, was sie so erzählt - denn mit der Wahrheit hat es Georgie nicht so. Erst gibt sie sich als Killerin aus, dann als Kellnerin und schließlich als Schulsekretärin . "Gehen Sie davon aus, dass alles, was ich Ihnen letzte Woche erzählt habe, erstunken und erlogen war", gesteht sie ihm beim zweiten Treffen in seiner Metzgerei, in der sie ihn fragt, was er an seinem Beruf mag. "Ich mag Tiere", antwortet er zur Erheitung des Publikums.

In sechs Szenen lernen sich Georgie und Alex immer näher kennen und lieben. So zufällig scheinen sie sich doch nicht kennengelernt zu haben, denn Georgie weiß, dass Alex Geld hat. Will sie ihn ausnehmen, um ihren angeblichen Sohn in Nordamerika zu suchen? Alex, der eine Nacht mit Georgie in seinem Bett verbracht hat, ist erschüttert von dieser Erkenntnis. In einem Park gibt er ihr das Geld und glaubt, dass das das Ende der Beziehung ist. Doch Georgie nimmt ihn mit nach Amerika. Zwar finden sie nicht ihren Sohn, aber sich dort gegenseitig.

Den quantenphysikalischen Begriff der Unschärferelation hat Autor Simon Stephens auf die interaktive Ebene seiner Protagonisten bezogen - auf das Zwischenmenschliche, in dem nichts sicher ist. Durch die vielen Unwägbarkeiten entsteht der Witz in der Komödie, aber auch der eine oder andere Ausspruch, über den man länger nachdenken kann, wenn beispielsweise Alex sagt: "Die Menschen machen sich zu viele Gedanken darüber wer sie sind. Sie sollten lieber daran denken, was sie tun".

Pressestimmen:

Ein herrlich unromantisches Paar
Alex und Georgie sind ein typisches unmögliches Komödiengegensatzpaar:
er alt, misstrauisch, verbittert, in Routinen erstarrt, sie unberechenbar, ausfallend, irrlichternd. Der Dialog der beiden hat Züge eines Poker-Spiels: Jeder Satz ist ein Einsatz ums Ganze. In jeder Sekunde kann alles enden. Indem sie ihn aus dem Gleichgewicht bringt, holt sie ihn zu sich.
Peter Kümmel, ZEIT online, 29.11.2016 (DIE ZEIT Nr. 45/2016).

Zur Hamburger Premiere am Ernst Deutsch Theater

Eine anheimelnd verrückte Liebesgeschichte.
Gelungene, vom Publikum begeistert aufgenommene Inszenierung (…) mit Anna Stieblich und Charles Brauer als Liebespaar auf den Prüfstand (…).
MN, Die Welt, 02.05.2018

Romantische Komödien mit Anspruch stehen hoch im Kurs. Nicht nur im Kino, sondern auch im Theater.
Neue Westfälische, 24.03.2018

Alex als ideale Rolle für Brauer, Georgie als schamloser Gegenpart.
Charles Brauer und Anna Stieblich nehmen die Zuschauer mit ins London von heute und nach Amerika, einem romantischen Roadmovie gleich.
Wie Brauer seine Gefühle für Georgie entdeckt, ist eine der feinen Volten des Stücks. (…)Das Stück zeigt in Zeiten der abnehmenden Gesprächs- und Streitkultur eine Chance für die Liebe auf.
Stefan Reckziegel, Hamburger Abendblatt, 27.04.2018

Großartiges Duo
Mit großem Beifall und einzelnen Bravos gefeiert: Charles Brauer und Anna Stieblich – zwei starke Schauspieler-Persönlichkeiten, denen man einfach mit Vergnügen zuschaut. Wunderbar gelingt es dem Darsteller-Duo in der einfühlsamen Inszenierung (Regie: Gerd Heinz) ihren Figuren ganz eigene Konturen zu verleihen.
Brigitte Scholz, Hamburger Morgenpost, 29.04.2018

In jeder Sekunde dieses raffinierten Komödienspiels droht die Situation zu kippen.
Jeder Satz enthüllt Unerwartetes, könnte zugleich auch der letzte sein.
Und wenn Alex und Georgie am Ende dann doch gemeinsam in New Jersey landen,
er verjüngt und wieder voller Lebenslust, sie ungewohnt ausgeglichen,
dann ist das am Ende vielleicht der Ausdruck jener Utopie,
bei der zwei völlig Verschiedene sich zu Momenten eines Wunders ergänzen.
Annette Stiekele, Hamburger Abendblatt, 06.10.2017